Seit Jahren beschäftigen uns die Datenhubs im Tourismus und vor allem die Befüllung derselben. Das Ziel: mit hochwertigem Content Gäste inspirieren, informieren und Sichtbarkeit über die Webseite hinaus generieren. Genau das hat sich auch die Ruhr Tourismus GmbH mit dem Vorhaben „digitale Modelldestination NRW” vorgenommen.
Denn sie haben nicht nur eine umfassende Datenbank aufgebaut, an der alle Teilregionen des Ruhrgebiets mitarbeiten, sondern mit dem „Reisekumpel” auch einen digitalen Reisebegleiter auf die Straße gebracht, der die Daten- und Zielgruppenstrategie perfekt umsetzt. Wir dürfen das Vorhaben seit 2020 begleiten und können das Projekt als “Good Practice” empfehlen!
Stephan Reichwein, der das Projekt seitens Ruhr Tourismus leitet, hat uns einen Einblick in die Praxis gegeben. Du solltest unbedingt weiterlesen, wenn dich die folgenden Dinge interessieren:
- Was der „Reisekumpel“ ist und welche Features ihn zu einer ganz besonderen digitalen Reisebegleitung machen
- Wie der Spagat zwischen Zielgruppenfokus und Einbindung von möglichst viel Content gelungen ist
- Warum Schnittstellen gut sind, aber händische Nachpflege trotzdem bisweilen notwendig ist
- Wie die PWA die Zusammenarbeit mit weiteren Akteur*innen in der Region intensiviert hat
- Welche Learnings das Team von der Idee zum fertigen Produkt erzielt hat
Stephan, verrate doch zum Start kurz: Was ist der „Reisekumpel“?
Gerne! Der „Reisekumpel“ ist eine Progressive Web App, die „wie ein Local” unsere Gäste im Ruhrgebiet begleitet. Man könnte sagen: Der „Reisekumpel“ ist wie Outfittery fürs Ruhrgebiet! Mit ihm kann ich besondere Orte und Events entdecken. Und zwar so, wie ich es mit einem guten Kumpel täte, der vor Ort lebt und auch ein paar überraschende Ideen parat hat.
Zum Einstieg in den „Reisekumpel“ können Gäste ein paar Fragen zu Zeitraum, Ort, thematischen Vorlieben sowie Mobilitätsgewohnheiten beantworten. Als Ergebnis erhalten sie einen dynamischen Tagesplan. Der zeigt dann beispielsweise ein passendes Café für den Brunch, nachmittags spannende Orte für einen Bummel und abends ein Konzert an.
Der Tagesplan beinhaltet sicherlich auch Ideen, die man auf einer Website nicht gefunden oder sogar überlesen hätte.
Für Nutzer*innen also eine intuitive Sache! Es ist aber sicher nicht einfach, Leute immer zu überraschen, oder?
Das ganze steht und fällt mit der Datenbasis! Um ein Gefühl zu geben: Das Ruhrgebiet ist eine riesige Destination mit 53 großen und kleinen Städten. In dieser Metropolregion leben über 5 Millionen Menschen, damit ist dies der größte Ballungsraum Deutschlands. Wir haben hier rund 3.500 Industriedenkmäler sowie urbane Event- und Erlebnisräume und unzählige Rad- und Wanderwege.
Geografisch und in POIs gesprochen bedeutet dies eine riesige Bandbreite! Der „Reisekumpel“ soll in Essen und Dortmund ebenso gut für Nutzer*innen funktionieren wie in Oberhausen oder Hamm. Dafür muss die Datenbasis überall stark und qualitativ hochwertig sein. Damit der „Reisekumpel“ passende Tagespläne erstellen kann, müssen viele Informationen wie Öffnungszeiten sowie die thematische Kategorie gepflegt sein.
Eine große Rolle spielen zudem Events. Sie sorgen dafür, dass Tagespläne wirklich einzigartig sind. Flohmärkte, Street-Food-Events, kleine und große Konzerte oder Open Air Kino sind für unsere Zielgruppe sehr spannend und werten damit den „Reisekumpel“ auf.
All das geht nur mit einer guten Zusammenarbeit mit den Partner*innen in allen Städten des Ruhrgebiets sowie den richtigen Schnittstellen zu anderen Datenbanken. Um eine hohe Datenqualität sicherzustellen, selektieren wir aber ebenfalls nochmals im Team oder pflegen ggf. Details nach.
Du hast nun schon mehrmals die Zielgruppe erwähnt. Auf wen fokussiert ihr euch? Und welche Herausforderungen gibt es möglicherweise?
Unsere Zielgruppe ist das Expeditive SINUS-Milieu. Das SINUS Institut beschreibt sie als „die ambitionierte kreative Bohème. Urban, hip, digital, kosmopolitisch und vernetzt; auf der Suche nach neuen Grenzen und unkonventionellen Erfahrungen.”
Ein extrem spannendes Milieu, das perfekt zu unserer Region passt! Das Ruhrgebiet bietet die rohe Unverwechselbarkeit, die diese Zielgruppe schätzt. Ehrliche Begegnungen mit den Menschen hier und eine bunte Kultur: Von Street Art und Urban Design über Trinkhallen-Kultur oder gerne auch mal die beste Currywurst der Stadt.
Der „Reisekumpel“ muss in der Ästhetik und den priorisiert angezeigten Inhalten zu den Vorlieben dieser Personen passen. Auch die Beschreibung der Inhalte muss textlich angemessen sein. Also lieber unkonventionell statt traditioneller Reiseführer-Sprache.
Ein Detail, das uns beispielsweise wichtig war: die Zielgruppe hat eine hohe Sensibilität für gendergerechte Sprache. Um Geschlechtergrenzen aufzulösen, haben wir daher auf dem Ladebildschirm ein Bild einer jungen Frau gewählt. Ein Kumpel muss ja nicht automatisch männlich sein, oder?
Wir wollen aber auch für Gäste anderer Milieus einen guten Reisebegleiter bieten. Es werden also nicht nur die expeditiven Geheimtipps ausgespielt, sondern auch zahlreiche weitere Reiseideen an die Hand gegeben.
Wie schafft ihr es, dass die Inhalte ihren Weg in der gewünschten Qualität in die Datenbank finden?
Der „Reisekumpel“ ist ja nur ein Teilbereich des Projekts „Digitale Modelldestination NRW”, ein EFRE Förderprojekt, welches durch die Europäische Union und das Land NRW gefördert wird. Für uns heißt digitale Modelldestination: die Expertise in den Destinationen und bei unseren Partner*innen digital in Wert setzen. Denn das geballte touristische Angebot und Wissen zu digitalisieren geht nur gemeinsam.
Der Aufbau eines entsprechenden Netzwerks war und ist uns also sehr wichtig. So wurden alle Partner*innen von Anfang an mit einbezogen und im Laufe des Projekts im Umgang mit der Datenbank sowie zur Erstellung von Inhalten umfassend geschult. Zudem haben wir regelmäßige Austauschformate, bei denen wir in die operativen Details der Datenpflege eintauchen und uns gegenseitig unterstützen.
Eine besondere Herausforderung ist das Thema Open-Data-fähige Inhalte und vor allem Bilder. Hierzu haben wir zentral eine Reihe Foto-Shootings beauftragt, um hochwertiges Material erstellen zu können. Die Liste der zu erstellenden Motive kam dabei von den Destinationen.
Eine sehr sinnvolle Arbeitsteilung also, die uns alle voran bringt und zu unserer ästhetisch anspruchsvollen Zielgruppe passt.
Alles in allem kann man aber sagen: Das Projekt hat uns mit unseren Partner*innen enger zusammengebracht und echte Vernetzung gefördert! Es ist jetzt auch schön, dass man mithilfe des „Reisekumpels“ sieht, wofür man eigentlich Daten eingepflegt hat. Er schafft somit ebenso eine Identifikation nach innen.
Und wie sorgt ihr dafür, dass die Gäste den „Reisekumpel“ auch finden?
„Gäste“ möchte ich an dieser Stelle nochmals definieren. Denn wir sprechen nicht nur Übernachtungsgäste mit der Anwendung an. Auch Tagesgäste aus Köln oder Münster werden den „Reisekumpel“ kennen und lieben lernen. Oder sogar Menschen, die im Ruhrgebiet leben und ihre Region neu entdecken möchten.
Deswegen setzen wir neben einer Kampagne auf den wichtigsten Social-Media-Kanälen auch ganz stark auf out of home an den Bahnhöfen vor Ort. Wer im Ruhrgebiet aus dem Zug steigt, kommt am „Reisekumpel“ nicht vorbei!
Was haben du und das Team auf dem Weg von der ersten Idee zum fertigen Produkt gelernt?
Eine prägnante Erfahrung war der Google Design Sprint im Winter 2020. Da wurde aus der groben Idee eines „digitalen Reiseführers“ der „Reisekumpel“. In nur einer Woche haben wir gemeinsam im Team die Idee entwickelt, einen Prototyp gebaut und Feedback von echten Vertreter*innen der Zielgruppe bekommen. Dieses Feedback war auch sehr wichtig, um das Projekt dann weiter voranzutreiben.
Auf dem weiteren Weg in der Entwicklung des Produkts hatten wir sicherlich viele kleine Learnings, die ich gar nicht alle aufzählen kann.
Für mich technisch das größte Learning war die Komplexität der Tagespläne. Wir wollen ja Vorschläge ausspielen, die zu den Wünschen der Nutzer*innen passen. Diese sollen aber auch mit der bevorzugten Mobilität in einer sinnvollen Reihenfolge vorgeschlagen werden.
Das ergibt eine unendliche Kombination von Erlebnissen! Denn je nachdem ob jemand per Zug, E-Roller, zu Fuß oder mit dem Auto unterwegs ist, ändern sich die Möglichkeiten extrem.
Auch hier gilt: je mehr hochwertige Daten vorhanden sind, desto einfacher wird es. In die Feinkonzeption der Logik sind aber viele Stunden geflossen.
Wo siehst du den „Reisekumpel“ in den nächsten Jahren? Wie entwickelt er sich gegebenenfalls weiter?
Wir möchten den „Reisekumpel“ immer weiter verfeinern! Dazu gehört zum Beispiel eine grafische Aufwertung des Kartenmoduls sowie höherer Komfort für unsere multioptionale Zielgruppe.
Zum Beispiel wäre es super, wenn man mehrere Mobilitätsmöglichkeiten entlang des Tages angezeigt bekommt. Zu Fuß ins Café, per E-Roller zum Flohmarkt und danach mit der Bahn in den Park. Natürlich mit direkten Buchungsmöglichkeiten für Fahrscheine oder Erlebnisse. Damit möchten wir auch zu einem nachhaltigen Verhalten beitragen.
Vielen Dank für die Einblicke in das Projekt, Stephan!
Ich hoffe, du hast aus dem Einblick in das Projekt eigene Ansätze mitgenommen! Der Reisekumpel ist nun live und damit für mich sowie das Realizing Progress Team ein besonderer Moment. Eine Anwendung von der ersten Idee bis zum Go-Live begleiten zu dürfen ist schon was besonderes.
Herzlichen Dank daher an das Team der Ruhr Tourismus GmbH für das Vertrauen, dass wir euch bei der Konzeption begleiten durften und zahlreiche intensive Sessions auf dem Weg zur Umsetzung des fertigen Produkts!
Wenn du den Reisekumpel selbst mal ausprobieren möchtest, schau am besten hier vorbei.
- Tipp 1: Öffne den Link auf deinem Smartphone!
- Tipp 2: besuche das Ruhrgebiet und lerne die volle Funktionalität des Tools kennen – wie mit einem guten Kumpel vor Ort eben.