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Lebensraum, Nachhaltigkeit, Gemeinwohl – für eine lebenswerte Zukunft

change, Gemeinwohl, Nachhaltigkeit, ZukunftsIMPULS

Lebensraum ist im Tourismus eines der Buzzwords des letzten Jahres – nicht zuletzt durch unsere OpenWeek und unsere Arbeit bei Realizing Progress. Doch was steckt wirklich dahinter? Was will das Lebensraum-Management und was müssen wir tun, damit dieses – meiner Meinung nach sehr wichtige und spannende – Tätigkeitsfeld kein Buzzword bleibt?

Im Grunde ist es ja erst einmal eine konsequente und logische Weiterentwicklung der Entwicklung vom Destination Marketing zum Destination Management. Es geht um Infrastruktur, um Zusammenarbeit, um Stakeholder. Und es geht nicht mehr nur um Touristen, sondern auch um die Bevölkerung. Um Menschen, die in einer Destination leben oder dort arbeiten. Und das ist folgerichtig. Denn: Alle diese Gruppen nutzen dieselben Straßen und Busse, bummeln durch dieselben Innenstädte und liegen an denselben Stränden. Dazu kommt, dass viele Gäste auch nicht länger Urlaub entlang der touristischen Trampelpfade machen. Sie wollen authentische Erlebnisse, sie wollen Begegnungen. Und das funktioniert nur mit Einheimischen.

Die Grenzen zwischen Einheimischen und Gästen verschwimmen zusehends. Zuerst in einer kleinen Bubble, für die NewWork schon möglich ist. Aber die Unternehmen, die RemoteWork anbieten, werden immer mehr.
Übrigens: Bitte lasst uns RemoteWork nicht mit NewWork verwechseln. NewWork muss eine Voraussetzung für erfolgreiche RemoteWork sein. Das ist aber eine andere Diskussion.

An was machen wir in Zukunft eine positive Entwicklung fest? Foto: Snell Media

Wie messen wir in Zukunft Erfolg?

Diese logische Weiterentwicklung vom Destinations-Management zum Lebensraum-Management bringt aber einige Implikationen mit sich, die es durchaus in sich haben. Wir sind uns ja mittlerweile fast alle einig, dass Tourismus nicht Selbstzweck sein kann, sondern zur positiven Entwicklung einer Destination beitragen muss. Doch da fängt es schon an: Was sind die Ergebnisse unserer Arbeit? Und wie messen wir die? 

Rein touristisch gesehen ist das easy: Übernachtungszahlen, Auslastungsquoten, monetäre Wertschöpfung. Im Lebensraum-Management sind diese Indikatoren sicher weiterhin wichtig, können aber nicht Ziel unseres Handelns sein. Warum? Weil mehr Gewinn (wer macht den eigentlich?) nicht automatisch zufriedenere Menschen bedeutet. Weil neue Hotels die Übernachtungszahlen steigern, andererseits aber vielleicht wertvolle Natur zerstören.

Meiner Meinung nach muss die Lebensqualität der Menschen das letztgültige Ziel unseres Handelns sein. Wie wir das in wirklich relevante und valide Kennzahlen gießen? Ich weiß es noch nicht. Aber ich bin für jede Idee offen, wie wir Systeme wie den OECD Better Life Index  für Destinationen nutzen können. Das Thema ist übrigens kein rein touristisches: Auch für Wirtschaftsregionen und Länder ist es ja genauso fraglich, ob das BIP in Zukunft noch die Bedeutung haben kann, die es heute hat.

Wir brauchen also alternative Messmethoden – und mehr: Wir brauchen alternative Systeme, Handlungsweisen und Ziele unseres Tuns. Weil rein quantitatives Wachstum in Zukunft unseren Wohlstand wohl nicht mehr sichern wird. Und unsere Lebensgrundlagen retten schon gar nicht.

Nachhaltigkeit und Gemeinwohlorientierung statt quantitativem Wachstum

Die Gemeinwohlökonomie könnte so ein System sein. Nicht der nächste Jahresabschluss ist hier das Ziel des Wirtschaftens, sondern das demokratisch definierte Wohlergehen von Individuum und Bevölkerung. Kooperation und Gemeinwohl stehen im Mittelpunkt, genauso wie Menschenwürde, Solidarität und Nachhaltigkeit.

Dafür wurde die Gemeinwohl-Bilanz entwickelt. Die dazugehörige Gemeinwohlmatrix haben wir zum Beispiel als Vorlage für die Nachhaltige Destinationsentwicklung in Bayern genutzt. (In Bayern hat Gemeinwohl übrigens Verfassungsrang, aber das ist weder eine Voraussetzung für gemeinwohl-orientiertes Handeln noch eine Garantie dafür.) Die Gemeinwohl-Orientierung ist also die Grundlage, das „Wie“ oder vielleicht auch das „Warum“ hinter dem „Was“ des Lebensraum-Managements.

Nachhaltigkeit mag ebenfalls als Buzzword empfunden werden. Doch auch dahinter versteckt sich eine für mich grundlegende Herangehensweise für unser gesamtes zukünftiges Handeln. Genauso wie Lebensraum-Management kann sich Nachhaltigkeit nicht in Projekten erschöpfen. Vielmehr ist Nachhaltigkeit ein weiteres „Wie“, und muss die Basis unseres gesamten Handelns sein. Und darum kann auch Lebensraum-Management nur nachhaltig funktionieren.

Neue Ideen statt asketischem Verzicht

Das bekannteste Nachhaltigkeitsmodell ist wohl das der drei Säulen der ökologischen, ökonomischen und sozialen Nachhaltigkeit. Es ist per se nicht schlecht, weil es den Fokus von der rein ökologischen Sichtweise auf eine umfassendere Perspektive weitet. Allerdings besteht genau darin auch die Schwäche dieses Modells.

Darum plädiere ich für das Vorrangmodell der Nachhaltigkeit. Dessen Prämisse: Keine Wirtschaft ohne Gesellschaft, keine Gesellschaft ohne Ökologie. Also: Ökologie zuerst. Die Kipppunkte, vor denen unser globales Ökosystem gerade steht, lassen für mich keine andere Schlussfolgerung zu. Die Wirtschaft, die in den letzten Jahrzehnten deutlich Vorrang hatte vor Gesellschaft und Natur, lässt sich im Zweifel wieder aufbauen. Unsere Umwelt wird uns diese Chance nicht geben.

Das 3-Säulen-Modell und das Vorrangmodell der Nachhaltigkeit. Illustration: Felix Müller (zukunft-selbermachen.de), CC-BY-SA 4.0
Das 3-Säulen-Modell und das Vorrangmodell der Nachhaltigkeit. Illustration: Felix Müller (zukunft-selbermachen.de), CC-BY-SA 4.0

Ich höre jetzt schon die ersten „Aber moralisierender Verzicht zerstört unseren Wohlstand“-Rufe. Wer mich kennt, weiß: Nichts läge mir ferner. Vielmehr müssen wir uns wieder ein positives Bild der Zukunft erarbeiten: Das alte Narrativ „Unsere Kinder sollen es einmal materiell besser haben“ ist schon lange auserzählt. Soziales statt materielles Wachstum – das wäre für mich ein schönes neues Ziel. Die Ressourcen, die wir dafür brauchen, können klug eingesetzt werden. Sharing Economy, Cradle to Cradle, Verantwortungseigentum – Ansätze dafür gibt es genug.

Zusammenarbeit ist der Weg in die Zukunft

Wenn soziales Wachstum ein Ziel sein könnte, ist es für mich auch der Weg dahin – denn der geht nur gemeinsam. Stadtplaner*innen, Regionalmanagement-Verantwortliche, Wirtschaftsfördergesellschaften – alle diese Aufgabengebiete können, ja müssen zur Lebensqualität der Menschen vor Ort beitragen. Wir Touristiker*innen sind da nur ein Player von vielen – und bei weitem nicht die ersten, die diese Idee hatten. (Das „Wir“ sage ich übrigens bewusst, auch wenn ich den ersten Teil meines Berufslebens mehr mit Regionalmanager*innen als mit DMOs zu tun hatte.)

Trotzdem glaube ich, dass wir im Tourismus einige Qualitäten haben, die wir in die Konzeption attraktiver Lebensräume einbringen können:

  • Wir wissen, wie Querschnittsaufgaben funktionieren. Tourismus ist eine, und Lebensraum-Management erst recht. Wir können Stakeholdermanagement, Kommunikation mit unterschiedlichen Akteuren und das Vermitteln zwischen Interessen.
  • Wir können Strategien entwickeln. Ganzheitlich und systemisch ans Lebensraum-Management ranzugehen ist die einzige erfolgversprechende Weise. Mit unseren Tourismuskonzepten haben wir dafür ganz gute Referenzen.
  • Wir haben seit jeher die Zielgruppen im Fokus. Die Bedürfnisse der Menschen im Blick zu haben liegt uns im Blut. Darum schaffen wir es auch, attraktive Produkte zu entwickeln. Und die müssen nicht nur für Tourist*innen spannend sein.
Zukunft geht nur gemeinsam. Foto: Snell Media
Zukunft geht nur gemeinsam. Foto: Snell Media

Was heißt das also? Was können wir als Touristiker*innen dazu beitragen, dass es den Menschen gut geht? Über das Primat der Ökologie habe ich ja schon geschrieben. Dies ist übrigens gerade für uns sinnvoll: Ohne Natur und Umwelt funktioniert unser ganzes Business nicht. Mobilität ist ein weiteres Thema: Öffentlicher Verkehr ist für Einheimische und Gäste durchaus noch ausbaubar. Stichwort Städte: Innenstädte als austauschbare Einkaufsstraßen haben ausgedient, genauso wie Vororte mit Reihenhaussiedlungen ohne Infrastruktur und Leben.

Wir können das tun, was Touristiker*innen so tun: Wir können Erlebnisse gestalten und Begegnungen ermöglichen. Nicht nur an den touristischen Hotspots, sondern für alle – in sogenannten Third Places und für alle Bevölkerungsgruppen. Das alles können und wollen wir nicht allein, noch nicht einmal federführend, sondern gemeinsam mit allen, die dazu beitragen können. Ohne Silos in den Köpfen – und am besten auch ohne Silos in den Strukturen.

Packen wir’s an

Ganz schön viel zu tun, oder? Ja, und das ist gut so. Schließlich wollen wir das, was die schönste Branche der Welt ausmacht, auch in lebenswerte Lebensräume einbringen. Und das geht meiner Meinung nach in Zukunft mit den oben genannten Prämissen:

  • Wir können keinen Tourismus mehr ohne Einheimische gestalten.
  • Wir brauchen neue Möglichkeiten, um Erfolg zu messen.
  • Quantitatives Wachstum kann nicht mehr das Maß aller Dinge sein.
  • Darum brauchen wir einen Systemwechsel, weil unser jetziges Wirtschaften genau darauf beruht.
  • Die Gemeinwohlökonomie kann ein Schlüssel sein, um diese Logik zu durchbrechen.
  • Lebensraummanagement und auf Gemeinwohl zielendes Handeln können nur nachhaltig funktionieren.
  • In der Nachhaltigkeit muss die Ökologie Vorrang vor der sozialen und der wirtschaftlichen Dimension haben.
  • Als Touristiker*innen können und wollen wir das nicht allein. Dazu brauchen wir alle öffentlichen Stellen, die Unternehmen und auch jede*n Einzelne*n.

Konkret bedeutet das ein wahnsinnig großes, aber auch unglaublich spannendes Aufgabenfeld. Ich freu mich drauf. Packen wir’s an.

ZukunftsIMPULS am 13.10.2022 – jetzt mit dabei sein.

Übrigens: Wenn du mit mir, Christoph Aschenbrenner, und Florian Bauhuber am Donnerstag, dem 13. Oktober 2022 9-11 Uhr über Gemeinwohl diskutieren möchtest, melde dich doch einfach zu unserem ZukunftsIMPULS an.

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Christoph Aschenbrenner Strategie-Begleiter | Organisations-Designer | Innovations-Coach

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