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Status Quo Tourismusbranche – Mit neuem Denken in Richtung Zukunft?

Digitalisierung, ITB, Klimawandel, Nachhaltigkeit, Status Quo, Tourismusbranche, Veränderung

Catharina Fischer14. Mrz 2023

Letzte Woche war es wieder soweit. Die ITB öffnete nach drei Jahren ihre Türen und die Branche strömte nach Berlin. “Open for change” – offen für Veränderung –  war das diesjährige Motto der ITB. Ein passender Claim, denn die letzten drei Jahren haben vieles verändert bzw. es verlangt sich zu verändern. Und mit Blick auf unsere Welt, werden Veränderungen bzw. sich verändernde Rahmenbedingungen unser stetiger Begleiter bleiben. 

Was machen wir mit dieser Erkenntnis? Was haben wir bereits geändert? Wo steht die Tourismusbranche nach drei Jahren Pandemie, mit einem Krieg vor den Toren Europas, dem Klimawandel, der Inflation und der Tatsache, dass KI einen Teil der breiten Bevölkerung erreicht hat?

Der Tourismus als Zukunfts-und Lebensraumgestalter

Ihr erinnert Euch vielleicht, mitten im zweiten Lockdown 2020 organisierten wir zusammen mit dem VIR die impulse4travel Initiative. Zu diesem Zeitpunkt blickten wir in viele ratlose Gesichter und der Ruf nach Veränderung wuchs mit zunehmenden Bewusstsein, dass uns das Virus nicht so schnell verlassen wird. Der “sense of urgency” – das Gefühl der Dringlichkeit – motivierte über 300 Akteur*innen sich an der Initiative zu beteiligen und ihren wertvollen Input zu leisten. Im Kern fokussierten wir uns auf zwei konkrete Fragen: 

  1. Wie muss der Tourismus neu gedacht werden, um resilienter zu werden? 
  2. Welche Handlungsoptionen existieren, um dieses Ziel zu erreichen?

Antworten und Gedanken haben wir im impulse4travel Manifest formuliert.

Das impulse4travel Manifest – Eine neue Vision für die Tourismusbranche

Mit dem “offiziellen Ende” der Pandemie, der (noch) ungebrochenen Reiselust vieler Menschen und dem positiven Start (laut Buchungszahlen) in das Jahr 2023 scheint nicht alles, jedoch aber einiges in den Hintergrund gerückt, worüber wir uns noch vor über zwei Jahren Gedanken gemacht haben. Der “sense of urgency” – das Gefühl der Dringlichkeit – ist im Kontext der Energiekrise nicht verschwunden, scheint aber generell an Kraft verloren zu haben. Es geht ja wieder los. 

Das ist auch gut so – bitte nicht falsch verstehen. Eine Frage sei aber erlaubt: Wie starten wir nun wieder durch und was haben wir tatsächlich aus der Krise gelernt?

Was haben wir aus der Krise gelernt?

Daher lasst uns kurz einmal innehalte und auf die Branche blicken. Wo stehen wir? Ist die Branche tatsächlich resillienter geworden? Haben wir an den richtigen Schrauben gedreht, um in unserer unbeständigen Welt beim nächsten Maschinenstopp mit bestehendem – und nicht neuem – Treibstoff pausieren zu können? Haben wir den Klimawandel und die daraus resultierenden klimatischen Veränderungen wirklich in unseren Zukünften vor Augen?  

Status Quo – Wo steht die Tourismusbranche?

Wir haben nicht auf alle Fragen eine Antwort. Wollen aber dennoch einen Blick auf den Status Quo werfen. Durch unsere Arbeit dürfen wir auf die Branche und in viele Organisation sowie Unternehmen (hinein)blicken. Im Folgenden wollen wir ein paar Perspektiven mit Euch teilen. Dazu habe ich meine Netzwerkkolleg*innen befragt. 

Björn Eichner

„Die Pandemie hat uns gezeigt, dass Zusammenarbeit auch anders funktionieren kann und die Agilität im Umgang mit Krisen hat Teams widerstandsfähiger gemacht. Wir haben gelernt, digital zusammenzuarbeiten und aktiv auf Veränderungen zu reagieren.

Die Nötigung in diese Transformation ist auch eine große Chance aus Reaktion Aktion zu machen, Zusammenarbeit neu zu denken und damit die Attraktivität für dringend benötigte Menschen in Organisationen zu steigern. Wenn der Veränderungsdruck von außen zunimmt und komplex wird, müssen interne Regeln reduziert und neue Prinzipien für die Bearbeitung von Problemen etabliert werden.“

Kristine Honig

„Was man die letzten Tage und Wochen überall lesen konnte: „Übernachtungszahlen von vor Corona nahezu erreicht / wieder erreicht / übertroffen”. Wollten wir nicht einen anderen Tourismus? Einen menschenzentrierten? Einen nachhaltigen? Einen wertschätzenden? Einen, der sich eben nicht an reinen Übernachtungszahlen und Mehr, Mehr, Mehr bemisst.

Beim Deutschen Tourismustag 2022 in Mainz sagte der Keynote-Sprecher Harry Gatterer vom Zukunftsinstitut: „Wenn ihr euch alle hier als die Tourismusfamilie bezeichnet, dann könnt ihr alle gemeinsam, – wenn ihr es wirklich, wirklich wollt, –  den Tourismus ändern.“ Dafür braucht es andere Messgrößen. Vor allem aber ein Tun statt Reden, gegenseitige Unterstützung und ein bisschen Mut.“

Christoph Aschenbrenner

„Einfach weitermachen wie früher? Bitte nicht! Besser: Lasst uns neu definieren, was und wie wir arbeiten wollen. Innerhalb unserer Destinationen ist der Lebensraum-Gedanke leitend: hier können wir die Zusammenarbeit mit Nachbardisziplinen, aber auch mit der Bevölkerung und mit den Unternehmen vor Ort verstärken.

Auch innerhalb unserer Organisationen können wir uns neu organisieren, so dem Arbeitskräftemangel begegnen und unserer Arbeit mehr Sinn verleihen. Ganz wichtig dabei: das Neue nicht einfach obendraufpacken, wir haben schließlich alle schon genug zu tun. Sondern klug und langfristig überlegen, was in Zukunft wirklich wichtig ist, wie wir uns anders organisieren und wovon wir uns vielleicht auch verabschieden können.“

Wie offen ist die Branche für Veränderungen?

Anna Scheffold

„Höher, schneller, weiter? Das muss Teil der Vergangenheit sein. Auch wenn zu viele hoffen, “auf Vor-Pandemie-Niveau anzuknüpfen”. 

Die ITB ist dieses Jahr ein leiser Vorbote der Phase des Degrowth. Alles ein bisschen kleiner, gefühlt weniger Besucher*innen und breitere Gänge. Ich finde: Das ist eine gute Nachricht! Viele Regionen schließen sich 2023 lieber an Gemeinschaftsständen zusammen, anstatt wie früher selbst einen riesigen Stand zu gestalten. Wie wäre es, wenn wir diese Idee mitnehmen in den Alltag? Dass eben nicht Alle alles machen können und müssen. Sondern dass Kooperation und Fokussierung in der Branche der Schlüssel sind, um den Wandel zu gestalten.

Denn wahr ist auch: Während in Berlin gemeinsam gefeiert und getrunken wird, machen die Krisen und Herausforderungen leider keinen Urlaub. Das Thema 2023? Der Umbau des Tourismus hin zur umfassenden Nachhaltigkeit mit der Digitalisierung als unterstützendes Werkzeug und dem Menschen im Fokus.“

Alexander Mirschel

„Auch mit Blick auf die diesjährige ITB muss ich leider sagen, dass die Branche eher auf ein Bounceback als auf eine ehrliche Transformation abzielt. Insbesondere der Massenmarkt im Pauschalreisesegment hat die Zeichen der Zeit noch immer nicht erkannt und agiert momentan nach dem Motto „Nimm soviel mit wie geht!“ Die Zeichen für aufrichtigen, nachhaltigen Wandel suche ich bei den meisten Anbietern und Veranstaltern noch immer vergeblich. Dennoch gibt es sie, die positiven Leuchttürme und Vorreiter:innen in der Branche und wir tun gut daran, uns an ihrem Anspruch der Enkeltauglichkeit zu orientieren. Die Chancen und Möglichkeiten für ernsthafte Veränderungen waren nie besser als heute!“

Roland Trebo

„Es ist wichtig, dass wir uns inmitten der Euphorie über die Wiedereröffnung der Tourismusbranche und der damit verbundenen Zunahme der Zahlen kritisch reflektieren. Sehen wir tatsächlich einen Fortschritt in Bezug auf Nachhaltigkeit, agiert die Branche mit der notwendigen Überzeugung gegen die Klimakrise? Oder geht im Großen und Ganzen alles weiter wie bisher?

Die Branche hat Fortschritte gemacht, aber leider nicht genug. Zu groß ist der Wunsch, so weiter zu machen wie bisher. Wir brauchen neue Konzepte, ein Umdenken. Wenn diese nicht freiwillig kommen, wird es irgendwann Regularien geben. Uns muss bewusst sein: Je länger wir mit der Veränderung warten, um so härter müssen wir dann reagieren und um so krasser spüren wir von Jahr zu Jahr die Folgen.“

Florian Bauhuber

„Wir haben es geschafft – die Corona-Krise ist überwunden (mal abgesehen von ein paar Dellen im Geschäftsreisen-Segment), die Energie-Krise im Griff – und nu? Alles auf Anfang, mit alten Rezepten, Produkten und Strategien.

Wenn man gerade auf der ITB war und die Branche sich selbst Feiern sieht, dann sind wir nicht in einem New Normal angekommen, sondern haben nichts gelernt. Das zeigt mir wiederum deutlich: Ohne regulatorische Eingriffe und ohne klare Regeln ist der Veränderungsdruck zu gering. Hier regelt nichts der Markt, oder die Nachfrage. Wir fahren immer noch Vollgas gegen die Wand – als Branche, als Gesellschaft und als Welt. Aber dafür können wir jetzt wieder persönlich feiern. Prost.“

Was braucht es für noch mehr Veränderung?

Capability statt Capacity – Mehr Tiefe statt Breite

Aus der Vogelperspektive sticht für mich ein Aspekt aus den oben aufgeführten Perspektiven deutlich heraus: Capability statt Capacity – mehr Tiefe statt Breite. Was ist damit gemeint? 

Capability (Kompetenz) und capacity (Kapazität) kommen aus dem Change Management. In diesem Zusammenhang bezieht sich der Begriff „Kapazität“ auf die Fähigkeit (z.B. durch mehr Personal, mehr Geld, mehr Hilfe von außen etc.) eines Einzelnen oder einer Organisation, Veränderungen effektiv zu bewältigen. Der Begriff „Kompetenz“ auf die für eine bestimmte Aufgabe erforderlichen Fähigkeiten und Kenntnisse. Eine Organisation kann über die Fähigkeit verfügen, sich zu verändern, aber ihr fehlen bestimmte Schlüsselkompetenzen.

Übertragen auf die gegenwärtige Situation und die damit verbundenen Herausforderungen, kristallisiert sich deutlich die Notwendigkeit zu mehr „Kompetenz“ bzw. mehr Tiefe heraus. Das betrifft eigentlich alle aktuellen Themenfelder (Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Arbeitskräfte, Marketing etc.). Die Zeiten von mehr Kapazität – das „Höher, Schneller, Weiter“–  sind nicht nur wegen der Inflation vorbei. 

Tiefe statt Breite – Kompetenz statt Kapazität

Für die Branche wird es darauf ankommen, wirklich in die „Kompetenz“ und damit Tiefe zu gehen. Das betrifft die Nachhaltigkeit, die bei vielen angestoßen, aber nur bei ausgewählten wirklich im Tun, im Denken und letztlich im Geschäftsmodell verankert ist. Das betrifft die Digitalisierung, die fernab aller Videokonferenzen und Homeoffice-Möglichkeiten, viele Strukturen und auch Denkmuster (immer) noch nicht durchdrungen hat. Das betrifft das Thema Arbeitskräfte, dass neben der Außensicht – neues Personal – vor allem eine Innensicht benötigt. Viele Schlüsselkompetezen* (z.B. Problemlösungskompetenz, Anpassungsfähigkeit, Lösungsorientierung, fächerübergreifendes Denken) sind losgelöst von jeglichem Fachwissen entscheidend, um resilient und damit nachhaltiger zu werden. 

*Kompetenzen, die berufsübergreifend und über das Berufliche hinaus in vielen Lebenslagen helfen.

Open for change? Ja, ich spüre mehrheitlich die Bereitschaft zur Veränderung, aber das allein reicht nicht aus. Wie Aristoteles schon sagte: „Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen.“ Der Wind hat sich deutlich gedreht, unsere Segel haben wir nur geringfügig anders gesetzt.

Wer über unsere Perspektiven hinaus einen Blick in die Zukunft wagen möchte, dem seien die spannenden „4 Szenarien zur Zukunft des Reisens“ von Anja Kirig empfohlen.

Wie blickt Ihr auf die Branche? Gerne teilt Eure Perspektive mit uns.

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Catharina Fischer NEUES DENKEN I STRATEGIN I NACHHALTIGKEIT

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