Wir leben heute in einer komplexen Welt. Populisten versuchen zwar immer wieder mit einfachen Antworten zu signalisieren, dass es Abkürzungen gäbe, diese existieren aber nicht. Nicht in der Politik (siehe Afghanistan) oder bei den großen Themen unserer Zeit (siehe Klimawandel). Alles hängt mit allem zusammen, so auch in unserem Beritt. Lange Zeit war der Tourismus eine Insel der Glückseligkeit – oder besser gesagt: Wir haben uns das erfolgreich selbst vorgemacht. Wir liebten unsere Branche für ihre Wirkung. Unser Tenor:
- wir tun was für die Welt, indem wir Geld in die Regionen bringen, die es am nötigsten brauchen.
- wir tun was für die Welt, auch indirekt durch Völkerverständigung, interkulturellen Austausch und Bewusstseinsbildung
- wir tun was für die Welt, indem wir Regionen stabilisieren, sozial schwächer gestellte unterstützen und Wohlstand sichern
- ganz nebenbei gestalteten wir den Reisenden die „schönste Zeit des Jahres“ – kurz: wir arbeiteten in der schönsten Branche der Welt!
Viele liebten es in dieser Branche zu arbeiten; wir waren die Guten, wir kümmerten uns um die unbeschwerten Sonnenseiten des Lebens. Aber dieses ungetrübte Selbstbild hat Risse bekommen. Verwerfungen und blinde Flecken, die wir nicht nur in unserer Branche nicht länger ausblenden können, sondern die auch von außen zunehmend sichtbar werden.
Die schöne, heile Scheinwelt ist nicht mehr.
So schrieb unlängst der STANDARD: „Eine Neuorientierung scheint im Tourismus wegen der Erderhitzung unausweichlich. Gewachsene Strukturen machen das zu einem Kraftakt sondergleichen“. Aber nicht nur der Klimawandel erzeugt in der Tourismusbranche Veränderungsdruck und beeinflusst die Wahrnehmung. Auch während der Corona-Krise war der Tourismus „der Schuldige“ für die globale Ausbreitung bzw. die Reiserückkehrer häufig der Grund für weitere Wellen und Einschränkungen.
Overtourism oder Crowding erzeugen nicht erst seit Start der Pandemie Probleme in tourismusintensiven Regionen. Amsterdam, Venedig oder auch in unseren heimischen Gefilden – der Aufstand der Bereisten ist da und er wird politisch instrumentalisiert. Der Tourismus ist weit weg von der Insel der Glückseligkeit. Er ist auf dem Weg zur Zigarette des 21. Jahrhunderts – wenn wir nicht den notwendigen Wandel vollziehen! Mit der von uns initiierten impulse4travel-Initiative und dem Manifest haben wir in einem ersten Schritt mögliche Handlungsstränge und Optionen identifiziert, die auch Du für Dein Unternehmen oder Deine Region adaptieren kannst – hier geht es zum Zukunfts-Check.
Reisen ist nicht per se gut – und wird nicht mehr für alle verfügbar sein (können).
Der Tourismus hatte schon immer seine Schattenseiten. Insbesondere der Massentourismus mit seinen austauschbaren, identitätslosen Nicht-Orten in Form von Flughäfen, Bettenburgen und Resorts, hat Formen des Tourismus geschaffen, die alles andere als funktionierende Regionen und Märkte erzeugt hat. Mal abgesehen davon, dass die Touristik selbst unter den kleinen Margen gelitten hat und heute noch leidet. Der Anspruch, für alle gesellschaftliche Schichten den idealtypischen Urlaub am Meer – überall auf diesem Planeten – bieten zu können, bzw. zu müssen, ist schlicht überholt.
Es ist schon jetzt absehbar, dass Reisen – insbesondere die Flugreise – teurer werden muss, bzw. ein weniger massenverfügbareres Gut wird. Und das vollkommen zu recht – Der Tourismus ist Teil des Problems, solange die wahren, global-gesellschaftlichen Kosten nicht eingepreist werden. Das Reisen und insbesondere die Flugreise ist Treiber des Klimawandels – und grünes Fliegen noch in weiter Ferne. Eine Verlagerung auf erdgebundene Reisen mit klimafreundlichen Antriebsformen ist unausweichlich, wenn wir das 1,5 Grad Ziel von Paris einhalten wollen. Damit werden sich auch die Zielgruppen, Reiseströme und das Reiseverhalten verändern. Der Wandel ist gekommen um zu bleiben – und bringt wie immer, neben Angst und Skepsis, auch große Chancen für die Aufgeschlossenen mit sich!
Die Utopie vom Lebensraum, der uns alle glücklich macht!
Der Tourismus ist also kein einfaches Phänomen, in dem Tourist*innen durch eine simple räumliche Veränderung an einem anderen Ort ihre Zeit verbringen und erholt wieder zurückkehren, ohne Einfluss auf den besuchten Lebensraum zu haben. Und die Verwicklungen mit dem Umfeld, der Umwelt und den sozialen Gefügen nehmen zu und werden komplexer, je mehr wir die Nicht-Orte des Massentourismus verlassen. In unseren Breitengraden will die lokale Bevölkerung diese Nicht-Orte meist nicht mehr haben. Die Widerstände gegen Neuansiedlungen von Bettenburgen und Resorts oder Erweiterungen von Flughäfen und anderer flächenintensiver Infrastruktur nehmen zu. Bürgerentscheide sprechen z.B. im Fränkischen Seenland oder durch die vielen kritischen Stimmen bei jeder Bewerbung um internationale Sport-Großevents, eine deutliche Sprache.
Der Schutz der Lebensqualität bzw. der eigenen Heimat, des Lebensraums steht immer öfter über kurz- und mittelfristigen, ökonomischen Interessen der Branche. Der Schrei nach langfristigen Perspektiven, aktiver Steuerung und Besucherlenkung, wird ebenso immer lauter. Die schlechten (Tages-)Tourist*innen sind dabei immer die anderen. Aber auch für die braucht und gibt es passende Angebote. Wir müssen uns nur endgültig davon verabschieden, mit einem Angebot oder in einer Region alle glücklich machen zu wollen, sondern Entscheidungen treffen. Für was stehen wir? Welche Formen des Tourismus wollen wir? Wie sollen unsere Lebensräume in Zukunft aussehen und wie wollen wir den Weg dorthin gestalten?
Integrierte, ganzheitliche Strategien mit einer Vision und konsequenten Werten.
Viele Regionen konzipieren und strukturieren ihr Handeln in Sektoren und entwickeln Strategien im Kontext des jeweilig dominierenden Megatrends oder Sektors. Oft mit deutlichen Zielkonflikten und ohne innere Kohäsion. Die Zeit dieser Silo- oder Trichter-Denke muss spätestens seit Corona vorbei sein. Die Pandemie hat uns gezeigt, wie sehr die Herausforderungen dieser Welt miteinander verwoben sind. Außerdem hat sie viele Entwicklungen derartig beschleunigt und unser Verhalten so weit verändert, dass wir endgültig mit den althergebrachten Denkweisen und Paradigmen nicht mehr zukunfts- und handlungsfähig sind.
Umso wichtiger ist es, Regionen als vollintegrierte, ganzheitliche Lebensräume zu verstehen und zu steuern. Nur so können wir die Veränderungen der Zukünfte, die auf uns warten, sinnvoll bewältigen. Resilienz entsteht durch Robustheit, Flexibilität & Lernfähigkeit. Wir haben es jetzt in der Hand, die Utopie von Lebensräumen, die einen Großteil der Bevölkerung (auf Zeit) umfassend glücklich machen, mit Leben zu füllen. Lasst uns diesen Weg gemeinsam gehen!