Tourismus und Politik reden oft aneinander vorbei. Nicht, weil sie sich nichts zu sagen hätten – sondern weil sie in verschiedenen Welten leben. Unterschiedliche Sprachen, unterschiedliche Prioritäten, unterschiedliche Systeme.
Aber: Genau in dieser Unterschiedlichkeit liegt auch die Kraft zur Veränderung.
In der vergangenen Woche haben wir unseren ZukunftsIMPULS Finanzielle Zukunftsfähigkeit von DMOs am Beispiel von Siegen-Wittgenstein durchgeführt.In diesem haben wir direkte Eindrücke und Erfahrungen von Steffen Löhr (Referatsleiter des Landrates im Kreis Siegen-Wittgenstein) sowie Daniel Letocha (Geschäftsführer des Touristikverbands Siegen-Wittgenstein e.V.) in ihren aktuell laufenden Transformationsprozess erhalten.
Du konntest nicht dabei sein? Kein Problem – einige der Learnings und Erkenntnisse haben wir hier für dich zusammengefasst.
Veränderung als Chance – und zwar für beide Seiten
Destinationen stehen an einem Wendepunkt. Digitalisierung, Fachkräftemangel, Nachhaltigkeitsdruck – und gleichzeitig mehr Aufgaben, weniger Geld und wachsende Erwartungen. Politik ist dabei nicht der Gegner – sondern ein potenzieller Verbündeter. Aber damit das klappt, braucht es ein neues Miteinander. Nicht zufällig. Sondern bewusst gestaltet.
Der Transformationsprozess in Siegen-Wittgenstein startete mit einem Auflösungsbeschluss. Was man im Laufe des Prozesses sehr gut sehen konnte: Das Durchlaufen der verschiedenen Schritte zur Bewältigung von Krisen – aus Schock & Verwirrung über Einsicht & Loslassen hin zu Offenheit & Ausprobieren.
An welcher Stelle stehst du gerade?
Lass uns einmal einen genaueren Blick darauf werfen, was du von Siegen-Wittgenstein lernen kannst.
Schritt 1: Erst verstehen, dann gestalten
Bevor wir von neuen Narrativen und großem Wandel sprechen, braucht es eins: Verständnis füreinander.
Viele Politiker*innen engagieren sich ehrenamtlich. Zeit ist knapp, Themen sind vielfältig. Wer mit touristischen Ideen überzeugt, muss prägnant, verständlich und auf den Punkt kommunizieren – mit Fokus auf den konkreten Mehrwert für die Region. Nicht für Gäste, sondern insbesondere für die Menschen vor Ort.
Pro-Tipp: In kleiner Runde beginnen – bilaterale Gespräche schaffen Nähe und Vertrauen. Das können sowohl individuelle und vertrauliche Interviews sein, wie wir sie in Siegen-Wittgenstein mit relevanten Vertreter*innen zum Start des Prozesses geführt haben, um Hintergründe besser zu verstehen. Das kann aber ebenso das gemeinsame Mittagessen sein.
Schritt 2: Gemeinsam Optionen sichtbar machen
Die meisten Menschen (ja, auch Politiker*innen) entscheiden nicht gern im Nebel. Deshalb: Statt mit einem fertigen Konzept aufzukreuzen, lieber verschiedene Szenarien entwerfen.
In Siegen-Wittgenstein stand die Auflösung des Touristikverbandes Siegen-Wittgenstein im Raum. An dieser Stelle war es sehr sinnvoll, einmal genauer die Konsequenzen verschiedener Optionen zu durchdenken:
- Was wäre wenn… wir den Touristikverband tatsächlich komplett auflösen?
- Was wäre wenn… wir den Touristikverband so weiterlaufen lassen wie bisher?
- Was wäre wenn… wir dem Touristikverband eine neue Ausrichtung und neue Aufgaben geben?
Wichtig beim perspektivisch Durchspielen: Was bedeutet das konkret – nicht nur für die eigene Organisation, sondern auch für die Akteure/Partner draußen im Land? Dabei kommen auch Fragen mit ins Spiel wie: Sind Fördermittel für die Region noch gesichert? Ist touristische Infrastruktur von der Änderung betroffen?
Schritt 3: Aktiv gestalten – nicht passiv abwarten
In der Praxis zeigt sich oft: Wer nichts fordert, bekommt auch nichts. Deshalb: frühzeitig loslegen, nicht auf Signale warten. Eigeninitiativ Prozesse anstoßen, Vorschläge machen, den Takt mitbestimmen statt nur mitzuschwingen.
Regionale Medien wie in dem Fall Radio Siegen oder die Siegener Zeitung können dabei wichtige Multiplikatoren sein – ob für die Sichtbarkeit der eigenen Projekte oder als Sprachrohr in Richtung Politik und Bevölkerung. In Interviews können Botschaften platziert und Ausblicke gegeben sowie Projekte und Hintergründe besser erklärt werden. Wenn du (große) Teile der Leser- und Hörerschaft bzw. die Bevölkerung auf deiner Seite hast, wird es für die Politik schwieriger, Entscheidungen zu treffen, die sich negativ auf dich oder deine Organisation auswirken – denn sie ist auf Akzeptanz und Zustimmung aus der Mitte der Gesellschaft angewiesen.
Schritt 4: Neue Narrative schaffen – die Region emotional aufladen
Was macht euch eigentlich aus? Was begeistert Menschen – innen wie außen?
Es geht nicht mehr nur um touristische Produkte. Es geht um Identität, um Haltung, um Zukunftsbilder. Weg vom Image als „Verwaltungshelfer“ hin zum aktiven Mitgestalter einer lebenswerten Region. Das bedeutet auch: Tourismus ist ein Teil der Lösung – nicht das Problem. Beispielsweise im Kontext zufriedener Arbeitnehmer*innen. Ein Lebensraum, der reich an Kulturangeboten und touristischer Infrastruktur ist, trägt dazu bei, dass die Attraktivität des Standorts im Freizeitkontext steigt. Menschen identifizieren sich – im Idealfall – mit der Region, fühlen sich hier wohl und bleiben dauerhaft sesshaft.
Schritt 5: Verbündete gewinnen – intern wie extern
Veränderung macht man nicht allein. Deshalb an jeder Stelle wichtig: Fürsprecher*innen mitnehmen. Menschen mit Einfluss, mit Stimme, mit Vertrauen – die sowohl direkt, aber auch in großen Runden Rückenwind geben.
Und ganz wichtig: Auch das eigene Team stärken! Viele DMOs stehen unter enormem Druck – ihre Mitarbeitenden damit ebenso. Wertschätzung und Gestaltungsspielräume für diese sind deshalb kein Luxus – sie sind Grundvoraussetzung für Transformation.
Schritt 6: Finanzierung neu denken – jenseits der Fördertöpfe
EFRE & Co. sind wichtig. Aber auch schwer zugänglich, komplex und oft langsam.
Denkbar sind deshalb auch neue Wege, beispielsweise:
- Regionale Unternehmen mit inhaltlichem Bezug als Sponsoren für zum Beispiel Veranstaltungen gewinnen.
- Oder Medienpartner als Namens- und Geldgeber für konkrete Produkte einbinden.
Finanzielle Unterstützung folgt oft guten Ideen – wenn man sie gut erzählt. Dabei gilt: Je konkreter umso besser. Nicht mit der Gießkanne die „Tourismusarbeit“ fördern/bezuschussen, sondern im Idealfall ein konkretes Event oder Infrastruktur sponsern, wie beispielsweise in Siegen-Wittgenstein den autofreien Rad-Aktionstag „Siegtal PUR“.
Schritt 7: Das Portfolio öffnen – und mutig hinterfragen
Transformation heißt auch: sich selbst infrage stellen. Welche Produkte, Maßnahmen, Aufgaben zahlen wirklich auf die Zukunft ein? Was darf sich verändern? Was darf weg?
Das ist nicht immer bequem – aber es zeigt Haltung. Und genau das überzeugt auch politische Partner*innen.
Besonders empfehlenswert hierbei: Quick wins, die sichtbar sind. Zum Beispiel Infrastrukturprojekte wie in Siegen-Wittgenstein die Trekking-Plätze. Diese sind ausschließlich aus Kreismitteln finanziert und finden derzeit sehr großen sowie positiven Anklang. Der Vorteil: Man versteht „das Produkt“, kann es anfassen – und es ist zudem authentisch (waldreichster Kreis) sowie ein großer Mehrwert für die Einheimischen.
Fazit: Zukunft passiert nicht – sie wird gemacht
Tourismus ist mehr als Gästezahlen. Er ist Teil einer lebenswerten Region, Teil von wirtschaftlicher Entwicklung, Teil von Identität.
Der Schulterschluss mit der Politik ist dabei kein Selbstläufer – aber machbar. Mit Klarheit. Mit Kommunikation. Mit echtem Interesse aneinander. Und mit dem Mut, Dinge neu zu denken.
Also, liebe DMOs: Keine Angst vor Veränderung. Sie ist nicht das Ende eurer Arbeit – sondern der Anfang von etwas viel Größerem.