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Coworkation in Brüssel: Wie wir als Netzwerk die Zukunft gestalten

Die Energie einer ganzen Woche voller Austausch, Projektideen und Stadterkundungen schwingt noch nach – eine Woche Coworkation in Brüssel. Als Netzwerk von 14 Personen, verteilt auf 13 Standorte, ist es uns besonders wichtig, mehrmals im Jahr physisch zusammenzukommen. Diese Treffen sind für uns von unschätzbarem Wert, da sie den Raum schaffen, Ideen zu entwickeln, Projekte voranzutreiben und unsere Vision einer offenen, nachhaltigen Welt zu schärfen. Vor allem aber um uns auch auf persönlicher Ebene näher zu bringen.

 

Warum Brüssel? EU-Stadt und Ort der Brüche

Grand Place/Grote Markt in Brüssel

 

Nach Amsterdam und Paris fiel unsere Wahl in diesem Jahr auf Brüssel – und das ganz bewusst. Denn Brüssel ist nicht nur die Hauptstadt Belgiens, sondern auch das Herz Europas. Ein Ort, der wie kaum ein anderer für Transformation und Entwicklung steht. Hier werden tagtäglich die Weichen für die Zukunft Europas gestellt, und genau diese Dynamik wollten wir erleben. Zugleich beeindruckt diese Stadt durch ihre kulturelle und gesellschaftliche Vielfalt sowie ihr Sprachenwirrwarr.

Architektur in Brüssel – außerhalb von der Grand Place

 

Doch auch offensichtliche Herausforderungen der Stadt wie eine stark autozentrierte Stadtgestaltung (auch wenn sich hier in den letzten Jahren bereits einiges getan hat), chaotischer Verkehr oder fehlende Grünflächen machen deutlich, dass Transformation generell notwendig ist – nicht nur auf politischer Ebene, sondern auch in der konkreten Umsetzung, im Placemaking.

 

Erkenntnisse aus der Stadt Brüssel und EU-Insights

Unser Programm war vielseitig: Von internen Workshops und Barcamps, bei denen wir uns mit der Weiterentwicklung unseres Netzwerks sowie konkreten Projekten beschäftigten, bis hin zu einem tiefen Einblick in die politische Dynamik der EU.

Eine Stadtführung mit ARAU abseits der üblichen touristischen Ecken gab uns viele Einblicke in die Stadtentwicklung im früheren Hafendistrikt sowie generell in die Stadtplanung in Brüssel. Einige Stichworte hierzu: Tour und Taxis, Kanalprojekt, Industriekultur, kulturelles Erbe, Stadtentwicklung in Bezug auf verschiedene gesellschaftliche Schichten, Spezifika Brüssels in Bezug auf seine Sprachen und damit die Verbundenheit zwischen Menschen… Beeindruckend – und ein komplett anderer Eindruck als in Amsterdam.

Wir besuchten das Europaparlament mit einer gebuchten Führung. Das dort erlebte Kundenerlebnis ließ uns allerdings recht ratlos zurück. Sagen wir so: Die User Experience ist deutlich optimierbar.

Bei einer Führung im Europäischen Parlament in Brüssel

 

Außerdem trafen wir uns zu einem intensiven Austausch mit Misa Labarile, PhD (Policy officer, Tourism, European Commission) und Christina Russe [Deputy Secretary General der ECTAA (European Travel Agents‘ and Tour Operators‘ Associations)]. Es ging generell um Entscheidungsprozesse und Abläufe innerhalb der EU, aber auch um konkrete Themen wie Data Spaces, Nachhaltigkeit, die Pauschalreiserichtlinie oder Mobilität.

Was wir in Brüssel noch besser verstehen wollten: Wie genau wird hier eigentlich Politik gemacht? Wie kommen die Entscheidungen zustande? Wie können wir unsere Vision einer offenen und nachhaltigen Welt aktiv in diesem EU-Kontext gestalten? Wie können wir selbst Einfluss auf Entscheidungen nehmen? Und wie bringen wir die Vorgaben aus Brüssel gemeinsam mit unseren Partnern und Kund*innen am besten in die konkrete Umsetzung?

Was wir sehen: Der Tourismus in Europa steht vor einem tiefgreifenden Wandel. Nachhaltigkeit und Digitalisierung sind die Schlüsselthemen, die in den nächsten Jahren die Agenda bestimmen werden, und als Netzwerk sehen wir es als unsere Aufgabe, diese Transformation aktiv mitzugestalten. Der Green Deal und der AI Act werden die Spielregeln für viele Branchen, inklusive des Tourismus, drastisch verändern. Wer jetzt noch nicht auf Nachhaltigkeit und digitale Innovation setzt, wird bald kaum mehr eine Chance haben, Schritt zu halten. Für uns war dieses Treffen deshalb ein weiterer Weckruf, noch intensiver an diesen Themen zu arbeiten und unsere Netzwerkarbeit genau darauf auszurichten.

Und übrigens: Die EU sucht Destinationen aus dem EU-Raum, die sich engagieren wollen, um das Thema Datenmanagement in Destinationen vorantreiben. Mehr Informationen findest du hier.

 

Unsere Vision: Gemeinsam mehr erreichen

Brüssel hat uns nicht nur inhaltlich inspiriert. Es war auch eine Gelegenheit, das Gemeinschaftsgefühl zu spüren, das unser Netzwerk ausmacht. Die EU, trotz aller Makel, steht für uns als Symbol dafür, was Zusammenarbeit auf Augenhöhe und die Überwindung von Grenzen möglich machen kann. Vor rund 70 Jahren haben Menschen den Mut gehabt, den Grundstein für dieses Projekt zu legen – damals mit dem klaren Ziel, Frieden in Europa zu sichern. Wenn wir heute auf die EU schauen, sehen wir eine Gemeinschaft, die gemeinsam mehr erreichen kann, wenn sie an einem Strang zieht. Das ist auch unser Credo bei Realizing Progress: Nur gemeinsam können wir die komplexen Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft angehen, sei es Klimaschutz, Digitalisierung/KI oder die Förderung einer offenen Gesellschaft.

Die 17 SDGs finden sich direkt vor dem Bahnhof Bruxelles-Central – natürlich passend zu Belgien mit Comics umgesetzt

 

Was bleibt?

Mit neuen Ideen, Impulsen und einem klaren Auftrag kehren wir aus Brüssel zurück: Wir wollen und werden die Zukunft aktiv gestalten. Unser Netzwerk ist bereit, sich den kommenden Herausforderungen zu stellen und neue Chancen zu nutzen. Die Themen Nachhaltigkeit und Digitalisierung werden uns alle betreffen – und wir freuen uns darauf, diese Transformation mitzugestalten.

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Destinationen Nachhaltigkeit im Tourismus

Nudging – ein effektives Instrument für deine Besucherlenkungsstrategie

Sanft beeinflussen statt harter Verbote – das ist die Grundidee von Nudging. Du wirst mit hoher Sicherheit jeden Tag „genudged“ ohne es zu wissen.

Warum dieser Kniff unerlässlich ist, wenn du das Thema Besucherlenkung angehen möchtest, zeige ich dir heute in diesem Beitrag. Dazu gibt es ein paar konkrete Beispiele.

Also, gehen wir rein!

 

Was ist Nudging?

„To nudge“ bedeutet wörtlich übersetzt „anstupsen“. Die Methode stammt aus der Verhaltensökonomie und zielt darauf ab, das Verhalten von Menschen auf subtile Weise zu beeinflussen, ohne ihre Entscheidungsfreiheit einzuschränken.

Es geht also um kleine, gezielte Anreize oder Veränderungen in der Umgebung. Diese sollen Menschen dazu bringen, bestimmte Entscheidungen zu treffen, die für das jeweilige Unternehmen oder die Gesellschaft vorteilhafter sind.

Verbote aussprechen zeigt nämlich nur, was man nicht darf. Aber es ist doch viel besser, Menschen zu dem anzuregen, was getan werden soll, oder?

Das Konzept greift einen wichtigen Grundsatz auf, an den viele immer noch nicht glauben möchten: Menschen handeln nicht immer rational.

Wir lassen uns von allen möglichen Dingen beeinflussen, über die wir gar nicht bewusst nachdenken. Beispiele aus dem Alltag sind:

  • Der Obstkorb im Büro, um gesündere Essensentscheidungen zu fördern.
  • Die Platzierung von Süßigkeiten direkt an der Kasse im Supermarkt für das Gegenteil.
  • Die automatische Geschwindigkeitserfassung an Ortseingängen mit Farb-Feedback (rot = zu schnell, grün = richtige Geschwindigkeit).

… Oder wenn ein Auto mit lokalem Kennzeichen am Wegesrand parkt, wenn die Parkplätze zum Badesee belegt sind. Was passiert da als nächstes? Richtig, es parken ganz viele Leute direkt dahinter, weil das wohl okay zu sein scheint.
Das nennt sich „Social Proof“ und ist ebenfalls eine Form von Nudging. Und damit sind wir schon mitten im Thema Tourismus.

 

Nudging-Beispiele im Tourismus

Auch im Tourismus wird fleißig gestupst. Ganz klassisches Beispiel ist der Wegweiser am Wanderweg, der nicht nur Kilometer oder Wanderzeit aufzeigt, sondern auch Aussichtspunkte oder  Einkehrmöglichkeiten. Bis eben hattest du noch keinen Hunger. Aber jetzt siehst du, dass in 20 min. eine Hütte kommt. Hmm… vielleicht doch eine Einkehr? Zack, erfolgreich genudged.

Nachfolgend möchte ich dir drei konkrete Beispiele für Nudging im Tourismus aufzeigen.

 

SUP-Station in Uffing am Staffelsee

  • Das Problem: Stand-up-Paddler, die auf der Liegewiese ihre SUPs aufpumpen. Das ist laut und reduziert die Aufenthaltsqualität für alle anderen. Und auf dem Wasser passt das Verhalten auch nicht ganz, Tiere und Pflanzen werden gefährdet.
  • Die Lösung: Die Stadt Uffing richtete eine SUP-Station am Parkplatz mit einer elektrischen Pumpe und einen eigenen Zugang zum See ein, wodurch die SUPer zu einem bestimmten Verhalten angeregt werden.
    Das ist für alle SUP-Fahrenden sogar die bequemere Option, denn sie müssen nicht von Hand pumpen und weniger weit vom Parkplatz aus gehen. Und für die Stadt rechnet sich die Investition durch die Einnahmen der Pumpstation.
SUP Zugang in Uffing am Staffelsee
Ein eigener Zugang zum See und direkt am Weg Hinweise zum richtigen Verhalten: die SUP Station in Uffing (Bild: eigene Aufnahme)

 

Infoseite für Anreise zum Eibsee

  • Das Problem: Der Eibsee ist der meistfotografierte See in Deutschland und zieht an schönen Tagen etliche Besuchende an, die gerne per Auto kommen. Das bedeutet Stau, Stress, eine verringerte Erlebnisqualität und Unmut bei Anwohner*innen.
  • Die Lösung: In unserem Projekt zum Besucher*innen-Management der Zugspitz Region ist die Fokusseite anreise-eibsee.de entstanden, die ganz genau über die Anreisemöglichkeiten informiert.
    Das Auto wird als letzte Option dargestellt mit den Worten „Die unabhängige, aber nicht stressfreie Anreise!“
Auf der Anreiseseite zum Eibsee wird transparent dargestellt, welche Optionen es gibt und dass das Auto nicht zwingend die beste Wahl ist. (Bild: Screenshot von eibsee-anreise.de)

 

Mecklenburg-Vorpommern #natürlichMitVerantwortung

  • Das Problem: Der Naturraum ist immer beliebter als Ausflugsziel, auch in Mecklenburg-Vorpommern. Das gefällt nicht allen Tieren, schließlich halten wir uns sozusagen in ihrem Wohnzimmer auf. Das Bewusstsein dafür ist aber nicht stark genug vorhanden.
  • Die Lösung: Bei der Kampagne #natürlichMitVerantwortung schauen die Tiere den Touristen direkt in die Augen und äußern ihren Wunsch. Diesem Blick können wir uns nämlich instinktiv nicht widersetzen – wieder mal eine Form von Social Proof.
    Ganz bewusst werden hier auch die Worte „Bitte“ und „Danke“ benutzt: Menschen mögen es schließlich lieber, wenn man höflich mit ihnen spricht.
    Die Motive gibt es unter anderem online, auf Postkarten und natürlich im Naturraum selbst.
#natürlichMitVerantwortung – hier schauen die Tiere die Besuchenden direkt an und geben Verhaltenshinweise (Bild: Screenshot aus dem Tourismusnetzwerk MV)

 

Fällt dir etwas auf? Genau – alle drei Beispiele kommen ohne Verbote aus und wollen Besucher*innen zu einem bestimmten Verhalten animieren.

Beispiel 1 und 2 lösen sogar ein konkretes Kund*innenproblem – das ist wirklich der beste Fall!

Denn ein Verbot sollte immer die letzte Option sein. Verbote sind schwer durchzusetzen, brauchen Kontrolle und sorgen für viel Unmut auf allen Seiten.

 

So gehst du vor, um Nudging für dich zu nutzen

Schritt 1: Verstehe das Problem

Was genau willst du lösen? Gibt es Probleme mit zu vielen Autos an Hotspots? Oder werden deine tollsten Sehenswürdigkeiten sogar übersehen? Gibt es typische Herausforderungen von Gästen bei der Buchung von Gästeführungen? Oder Konflikte auf dem Weg?

Schaffe dir Klarheit, was genau das Problem ist, bevor du Nudges entwickelst.

 

Schritt 2: Verstehe das Verhalten

Allzu häufig denkt man „die Leute sind halt blöd“ oder sogar „die Gäste sind rücksichtslos“. Was aber, wenn sie tatsächlich planlos sind und die Situation nicht richtig erfassen können?

Mal ganz ehrlich: Du warst doch bestimmt auch schon an einem Ort, wo du dich nicht zurechtgefunden hast, die Sprache nicht sprichst oder die lokalen Sitten dir sehr fremd waren. Fettnäpfchenalarm!

Wir müssen erst verstehen, warum Menschen sich auf eine bestimmte Weise verhalten. Wusstest du z. B., dass viele Personen Schilder überhaupt nicht wahrnehmen? Für diese machen digitale Hinweise auf Instagram oder der Tischaufsteller am Hotelfrühstückstisch vielleicht mehr Sinn.

Und selbst wenn Schilder wahrgenommen werden: Schau einfach mal aufmerksam, wie viele Verbotsschilder bei dir im öffentlichen Raum sind. Wenn es begleitend keine Hilfestellung gibt, gibt es Potenzial für einen Nudge.

 

Schritt 3: Definiere dein Ziel

Es geht im Nudging darum, Menschen zu einem bestimmten Verhalten zu ermuntern. Damit klar ist, was getan werden soll, muss jedoch auch das Ziel klar sein.

Im Kontext Besucherlenkung heißt das häufig: Parksuchverkehr vermeiden, Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel verbessern, Menschen an bestimmte Orte lotsen.

Lege das Ziel so genau wie möglich fest. Zum Beispiel: Wir wollen, dass 10% mehr Gäste pro Jahr mit der Bahn zu unseren Weihnachtsmärkten anreisen.

 

Schritt 4: Gestalte das „anstupsen“

Sobald du über die obigen Punkte Klarheit hast, kannst du in die Gestaltung von einzelnen Aspekten einsteigen.

Überlege, wie du das Umfeld so anpassen kannst, dass das gewünschte Verhalten attraktiver wird, ohne die Wahlfreiheit einzuschränken.

Eine effektive Nudge-Strategie ist es, die gewünschte Handlung zur Standardoption zu machen. Zum Beispiel könntest du bei Gästeführungen in der Natur den Treffpunkt an der Tourist-Info festlegen und dann gemeinsam mit dem Bus zur Tour aufbrechen, anstatt den Treffpunkt am Wanderparkplatz zu machen.

Ein weiterer Kniff ist die Macht der sozialen Normen und positiven Bestärkung. Wenn auf der Seite eines Events beispielsweise steht, dass „90 % der Teilnehmenden mit Bus und Bahn anreisen“, nutzen Personen diese Option eher.

 

Und was, wenn ich gar keine Besucherlenkungsstrategie brauche aktuell?

Zwei Personen schauen auf ein Smartphone, auf dem Google Maps geöffnet ist
Gerade keine Besucherlenkungsstrategie in Planung? Auch in der Kommunikation und der Produktgestaltung sind Nudges hilfreich und sinnvoll

 

Wenn das Thema Besucherlenkung für dich aktuell nicht wichtig ist, kann Nudging dennoch ein sinnvolles Werkzeugset für dich sein. Wie du oben gelesen hast, ist Nudging vielseitig und wird von unterschiedlichen Institutionen und Unternehmen eingesetzt.

Vermutlich nutzt du ein paar Kniffe schon heute, ohne sie bewusst zu kennen. Generell kann eine bewusste Gestaltung mit Nudging Techniken deine Kommunikation und deine Produktgestaltung aber weiter verbessern.

 

Weiterlesen

  • Wenn du mehr lesen möchtest über Nudging und die dahinterliegenden Prinzipien empfehle ich dir das Buch „Nudge: Wie man kluge Entscheidungen anstößt“ von Richard Thaler und Cass Sunstein, die den wissenschaftlichen Grundstein für das Konzept gelegt haben. Sie zeigen Beispiele aus der Gesundheitsvorsorge, zum Thema Organspende oder dem Stromverbrauch von Haushalten auf. Und sprechen über das Thema Ethik im Kontext von Nudging – ein wichtiger Impuls!
  • Die Zugspitz Region haben wir 2022 und 2023 dabei begleitet, das Thema Besucher*innen-Management ganzheitlich und strategisch anzugehen. Mehr Informationen dazu findest du auf unserer Referenzseite.
  • Im Blogartikel „Besucherlenkung: Der Elefant im Raum und 5 Ideen für deine Destination“ gibt es weitere Einblicke in das Handlungs- und Problemfeld Autoverkehr und 5 Ideen, wie du als Destination alternative Verkehrsträger fördern kannst. Hier lesen.