Draussen Schneechaos, drinnen eine Mischung aus Barcamp und Konferenz Atmosphäre – ich befinde mich auf der #mbc09 in Hamburg, der deutschen Microblogging Konferenz 2009. Zwei Tage lang geht es um die Themen Microblogging, Twitter und deren Zusammenhang zum corporate Einsatz, zu erklärenden Modellen und Theorien sowie zu alternativen Microblogging Plattformen. EinigeViele Blogger (zum Beispiel hier, hier mit Livestream, hier, hier, hier, hier, hier, hier) schreiben gerade darüber, weltweit ist der Hastag #mbc09, mit dem Twitternachrichten zur Veranstaltung markiert werden, auf Platz 2, der Buzz ist wirklich sehr groß. Sogar die Tagesschau hat schon mehr als 1 Minute zur besten Zeit darüber berichtet – bestimmt nicht zuletzt auch wegen der Bedeutung von Twitter bei den Attentaten in Mumbai und bei der Landung im Hudson. Übrigens ist auch professioneller Journalismus nicht vor Fehlern gewahrt 😉 – das musste Cem Basman, der Konferenz Organisator am eigenen Leibe erfahren.
Kürzlich haben wir über Twitter und Tourismus bereits berichtet, in diesem Artikel noch einige Aspekte, die mir heute auf der Konferenz untergekommen sind…
Warum Twitter von Bedeutung ist – Ein Gedanke lässt sich in 140 Zeichen verpacken. Damit stellt sich Twitter als effektives Tool dar, einen Gedanken an eine breite Öffentlichkeit zu posten und dies zugleich mit einer nahezu Realtime-Geschwindigkeit. Dank mobiler Anwendungen wir Microblogging ubiquitär verfügbar.
Firmen wandeln sich von Maschinen zu Gehirnen, auch durch Twitter – Bisher entstanden die Outputs von Firmen, auch von touristischen Organisationen, durch eine vorher festgelegte Arbeitsteilung zwischen verschiedenen Mitarbeitern, nur wenn jeder seinen Teil beiträgt, entsteht ein Endprodukt. Die kommunikativen Strukturen beschränken sich auch heute noch auf einige Schnittstellen und Nachrichten mit mittlerer Frequenz (Email von Teamleiter zu Geschäftsführer, Mitarbeiter A zu Mitarbeiter B). Tools wie Twitter können dazu beitragen, dass die Mitarbeiter einer Firma wesentlich dichter vernetzt sind und jeder mit jedem in einen Kommunikationsprozess tritt (mal abgesehen vom Paradigma des „Nicht nicht-kommunizieren Könnens). Dieser Kommunikationsprozess könnte mit den Synapsen eines Gehirns verglichen werden.
Twitter Spam – In einer von Oliver Gassner moderierten Session zum Thema Twitterspam ging es darum, wie mit Twitterern umzugehen ist, die dem Netzwerk keinen Nutzen bieten. Oliver fokussierte dabei vor allem auf das Problem, dass man als Twitteruser jeweils eine Email bekommt, wenn einem jemand neues auf Twitter folgt. Eine Emailfilterrregel kann hier bereits Not tun, aber der Emailspam der aus Twitter resultiert ist meines Erachtens kein Problem, denn dies lässt sich umgehen. Problemkomplexe sind eher: Wem folgen, wem nicht? Was tun, wenn Spammer die eigenen Produkte in ihren Tweets nennen und so an nicht zielführender Stelle auffindbar machen, etc.? Wie wertvoll oder störend sind die Fütterung von Rss-Feeds in die Twitterposts? Fragen über Fragen. Tipp: Profil und Tweet-Wert eines neuen Followers checken, bei Interesse folgen. Sonst nicht.
Twitter und WEAKTIES – Eine weitere Session drehte sich um die Analyse von ?Name? rund um das Thema weakties auf twitter. Über eine Analyse der letzten 500 Nachrichten in der öffentlichen Timeline von twitter, und hier heraus wiederum nur diejenigen Twitterer, die die Favoriten Funktion nutzen. Meines Erachtens hat derjenige damit das Sample auf eine völlig unwissenschaftliche Weise verkürzt und die Repräsentativität der Studie weitestgehend zerstört. Immerhin, die Idee war gut. Eine geschichtete Stichprobe wär besser gewesen, soviel zum Thema quantitative Forschung. Ok, aber weiter zu den Findings, die sich sowieso eher im theoretischen Rahmen bewegen als bei echten Forschungsergebnissen.
Mark Granovetter hat 1993 das Konzept der Weakties vs Strongties eingeläutet: er befragte Personen, wie Sie zu ihrem letzten Job gekommen seien. Dabei stellte sich heraus, dass ein überwiegender Bestandtteil des Samples die Informationen über die mögliche neue Arbeitsstelle nicht von ihren Freunden, sondern irgendwo aus dem weiteren sozialen Netzwerk bekommen hatten – mit dem sie nur schwach verbunden waren (Intensität der Beziehung und Menge der Personen zwischen Ihnen und der informierenden Person).
Betrachtet man die Gesamtheit der sozialen Verbindungen auf einer social networking Plattform, stellt sich diese als ein inhomogenes Netz aus sozialen Verbindungen zwischen Personen dar. Es gibt in diesem Netzwerk dichtere Bereiche, in denen die Personen intensiv vernetzt sind (z.B. Freundeskreis, Firma, Berufsumfeld, Studienkollegen) und zwischen diesen Bereichen gibt es strukturelle Löcher, da die verdichteten Bereiche durch wenig verdichtete Bereiche voneinander getrennt sind. In verdichteten Bereichen gibt es oft zentrale Personen, die mit vielen Personen aus dem dichten Bereich direkt oder mit einer hohen Closeness (Wieviele Personen liegen zwischen A und B auf direktem Weg durchs Netzwerk) vernetzt sind. Diese stark vernetzten Personen haben einen hohen Grad der Vernetztheit (In-Betweenness). Ist nun eine dieser zentralen Personen eines Verdichtungsbereiches gleichzeitig eine zentrale Person in einem zweiten Verdichtungsbereich oder direkt mit einer solchen zweiten Person verbunden, so nennt man dies eine Brücke (zwischen 2 Verdichtungsbereichen).
Brücken sind wichtig für die Funktionsweise von weakties. In jedem Verdichtungsbereich existieren bestimmte Informationskomplexe. Ist man nur Mitglied in einem dieser Verdichtungsbereiche, so sind viele Informationen der Personen in diesem Bereich zueinander redundant. Existiert allerdings eine Brücke in einen anderen Verdichtungsbereich, fließen über diesen weaktie neu und nicht-redundante Informationen in das eigene Netzwerk. Und GENAU HIER stecken die Potenziale des weaktie Konzeptes: Man bekommt Informationen, die den kreativen und schöpferischen Fokus, den individuellen Horizont erweitern. Diese Informationen sind wesentlich für neue Ideen, unterstützen geschäftliche Innovationsprozesse und können Antworten auf ungelöste Fragen eines sozialen Netzwerkes liefern.
Eigentlich eine Banalität. Und doch so selten praktiziert, ist doch eigentlich unglaublich, oder? Das gleiche versteht man übrigens auch unter dem Begriff „peripheral vision“ (wo hab ich das gelesen???) – das Netz erweitert den eigenen Blickwinkel um Geschehnisse, die wesentlich weiter außerhalb des eigenen Wahrnehmungsbereiches liegen.
In der Wissenschaft würde man dies eigentlich auch durch das im Auge behalten anderer Fachdisziplinen bzw. des Diskurses dieser Disziplinen erfüllen und sich mit Informationen außerhalb des eigenen Fokus versorgen.
D.A.